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„Ich hab mir das nicht ausreden lassen“

Die Bäuerin Jutta Schlager und Doris Maurer, Geschäftsführerin eines Gemeindeverbunds im Waldviertel, stehen mit ihrem Engagement und Durchsetzungsvermögen für viele tatkräftige Frauen in Niederösterreich. Welche Tipps können sie weitergeben ?

Das Foto zeigt eine selbstbewusste Bäuerin Jutta Schlager mit einer Mistgabel in der Hand, vor ihrem Bauernhof. Hinter ihren Beinen schaut ein junges Schwein hervor.

Quelle: © Ursula Röck

Ihr Sohn ist gerade zwei Jahre, die Tochter sechs Monate alt, als Doris Maurer Chefin wird. Sie übernimmt 2013 die Geschäftsführung des „Waldviertler Kernlandes“, eines Zusammenschlusses von damals 13, heute 14 Gemeinden, um gemeinsam regionale Projekte umzusetzen. Ihr Mann geht in Karenz. „Das war sehr ungewöhnlich, für viele im Umfeld auch irritierend“, erzählt Maurer heute. „Innerfamiliär hat’s aber den großen Vorteil gehabt, dass seine Beziehung zu den Kindern intensiver geworden ist. Und : Wir wissen jetzt beide, was es bedeutet, ein Jahr oder länger zuhause zu sein, ohne Anerkennung von außen.“ Dieses Bewusstsein sei noch nicht überall im Land angekommen.

Jutta Schlager, Bio-Bäuerin in Mollram im südlichen Industrieviertel, sagt sich 2017, dass Landwirtschaft „heute nicht mehr nur Ackerbau und Viehzucht ist“ – und öffnet einen Bauernladen am eigenen Hof, den ihr Mann und sie im Nebenerwerb führen. Die Marke „Landkind“ sichert sie sich und setzt eine professionelle Webseite auf. „Is‘ des alles glei‘ notwendig ?“, fragen sie manche im Umfeld. „Ich hab‘ mir das aber nicht ausreden lassen“, erzählt die studierte Betriebswirtin. Heute ist der Hofladen jeden Donnerstag geöffnet und die Kunden wissen : Alle Produkte der Linie stammen vom Biohof Schlager, von der Dinkelnudel bis zum Schwarzkümmelöl. „Bei anderen Bauern frag ich mich oft : Hat der das jetzt selber gemacht ? Meine Motivation ist die Transparenz.“

Das Durchsetzungsvermögen von Doris Maurer und Jutta Schlager steht für viele tatkräftige Frauen in Niederösterreich. Sie alle stehen mit ihren Biografien für eine Veränderung, die im Gange ist : Frauen drängen auf Gleichberechtigung. Und das könnte sich auch im Sinne der Nachhaltigkeit positiv auswirken : Eine Studie aus 2020 (an der u.a. das Internationale Institut für angewandte Systemanalyse in Laxenburg beteiligt war) deutet darauf hin, dass Geschlechtergerechtigkeit eng mit dem Faktor Nachhaltigkeit verwoben ist, sich in nachhaltigen Zukunftsszenarien also Ungleichheiten zwischen Frau und Mann verringern. Ob in Führungspositionen oder als Engagierte, die in Familie oder im Verein Veränderungen anstoßen : Auch in Niederösterreich gibt es viel Raum für weibliche Initiative. Doris Maurer und Jutta Schlager erzählen, was sie in ihrem bisherigen Tun gelernt haben – und was sie motivierten Frauen empfehlen.

Vor acht Jahren präsentiert Maurer in ihrer ersten Vorstandssitzung – vor neun Bürgermeistern und vier Bürgermeisterinnen – mehrere Projektideen, darunter eine Tagesbetreuung für Kinder ab 6 Monaten je nach Bedarf flexibel zwischen 7 und 20 Uhr, einen Mittagstisch für SeniorInnen, Vernetzungstreffen für Frauen mit Kleinstkindern, aber auch welche zur Raumplanung, „um ernstgenommen zu werden“, wie sie sagt. Mit einigen ihrer sozialen Aktionen hat sie im „Waldviertler Kernland“ einen Transformationsprozess angestoßen, der bis heute läuft.

„Mein großes Glück damals waren die vier Bürgermeisterinnen“, sagt Maurer. Die hätten das Heft in die Hand genommen und mit ihr gemeinsam die Basis für die Umsetzung geschaffen. Für die in vielen ländlichen Gegenden schwierige Kinderbetreuung fand Maurer samt Team diese Lösung : An neun Standorten werden – ab einem Bedarf von drei bis vier Kindern – vormittags Kinder unter zweiein­halb Jahren, also vor dem Kindergartenalter, betreut, am Nachmittag können Kindergarten- und Volksschulkinder dazukommen.

Das Foto zeigt eine selbstbewusste Frau Doris Maurer, Geschäftsführerin eines Gemeindeverbunds im Waldviertel, auf einer Schaukel sitzend.

Quelle: © Ursula Röck

„Mein großes Glück damals waren die vier Bürgermeisterinnen in unserer Region.“
Doris Maurer / Geschäftsführerin Waldviertler Kernland

Das Angebot brachte vielfach Entspannung in Familien, traditionelle Muster brachen auf, berichtet Maurer. Vorurteile gegenüber (berufstätigen) Müttern seien nach wie vor stark verankert, die Frage „Was braucht die ihr Kind schon vor zweieinhalb (vor dem regulären Kindergartenalter, Anm.) weggeben ?“ müssten sich viele gefallen lassen. „Wir haben die Betreuerinnen gebeten, regelmäßig mit den Kindern einkaufen zu gehen“, damit auch im Ort sichtbar wird, dass den Kleinen das Zusammensein in der Gruppe guttut – die in der Nachmittagsbetreuung auch der Altersstruktur einer Großfamilie ähnelt. „Wir haben viele Einzelkinder, die lernen so aus der Erfahrung mit älteren oder jüngeren Kindern“, sagt Maurer. Und den Müttern gebe die Betreuung die Freiheit, auch einmal nicht auf die Unterstützung von jemand anderem in Familie oder Nachbarschaft angewiesen zu sein. „Unser Konzept stellen wir allen Interessierten zur Verfügung“, sagt sie. Es gibt dazu auch eine Förderschiene (Zuschuss für den Ausbau von Kinderbetreuungsplätzen in elementaren Bildungseinrichtungen für Unter-Dreijährige). Auch bundeslandweit wurden mittels EU-Förderung und Ko-Finanzierung durch das Land seit 2018 insgesamt 184 Tagesbetreuungseinrichtungen aufgebaut ; bis 2022 sollen 20 weitere folgen.

2.095 BürgermeisterInnen gibt es in Österreich derzeit. Davon sind 200 Frauen. Die meisten Bürgermeisterinnen gibt es in Niederösterreich (75)

Anteil der Bürger­meisterinnen in Österreich, September 2021 / 2.095 BürgermeisterInnen gibt es in Österreich derzeit. Davon sind 200 Frauen. Die meisten Bürgermeisterinnen gibt es in NÖ (75).

Quelle: Gemeindebund

Zu diesen Ideen bewegt hat Maurer übrigens auch ihr Sozialpädagogik-Studium, das sie neben Job und Kindern absolvierte. Ist das nicht recht viel Gewicht auf den Schultern ? „Andere gehen Tennisspielen, ich bin studieren gegangen“, lacht Maurer. Das Konzept des „Lebenslangen Lernens“ hält sie für enorm wichtig – sich weiterbilden, das eigene Tun aus einer neuen Perspektive betrachten, reflektieren und daraus Kraft schöpfen. „Bei Frauen reden wir ja oft von einer Mehrfachbelastung. Es ist traurig, wenn Arbeit, Kinder, Weiterbildung nur Belastung sind oder als solche wahrgenommen werden“, so Maurer. „Am Ende des Tages bringen diese Tätigkeiten mehr Energie als sie verbrauchen. Es stimmt schon, Kinder brauchen Energie, aber sie geben meinem Handeln einen tieferen Sinn.“

Auch Jutta Schlager hat berufsbegleitend studiert – und befindet sich gerade mitten in einer Weiterbildung bei Green Care Österreich. Der Verein, dem alle neun Landwirtschaftskammern angehören, bietet mit Lehrgängen und Kursen Bäuerinnen und Bauern „neue Chancen der Betriebsentwicklung“, heißt es auf der Green-Care-Webseite. Schlager will bald Koch-Workshops mit den eigenen Produkten oder Naturerlebnisse für die kleinen PatientInnen einer nahegelegenen Kinder-Reha-Klinik anbieten. Ihr Biohof in Mollram soll ein „Auszeithof“ werden. „Man muss heutzutage innovativ bleiben“, sagt sie.

Der kleine Laden neben ihrem Hof ist für die Bäuerin mittlerweile selbstverständlicher Bestandteil dessen. Motivation dafür war von Beginn an, dass sie für ihre Familie wissen wollte, woher ihre Lebensmittel stammen. Getreide und Ölfrüchte bauen die Schlagers mittlerweile komplett selbst an, sie halten Rinder, über den Sommer auch Schweine, die für die Selbstvermarktung geschlachtet werden. Das Gemüse und die Milchprodukte im Laden stammen von anderen regionalen Biobauern. Ihre Familie komme gut mit den Eigenprodukten aus und dem, was am Donnerstag im Laden nicht verkauft wird. „Bananen und ein paar andere Sachen sind das Einzige, was wir für uns aus dem Supermarkt holen“, erzählt sie.

Mit 97,3% Betreuungsquote liegt NÖ an der obersten Betreuungsquote für 3 bis 5-jährige im Bundesländervergleich. Für Kinder unter zwei Jahren wird in NÖ weniger professionelle Betreuung in Anspruch genommen als für über 3-jährige.

Kinderbetreuungsquote in Prozent / Mit 97,3 % Betreuungsquote liegt NÖ an der obersten Betreuungsquote für 3- bis 5-Jährige im Bundesländervergleich. Für Kinder unter zwei Jahren wird in NÖ weniger professionelle Betreuung in Anspruch genommen als für über 3-Jährige.

Quelle: Statistik Austria, Stand: 2020

Die erste Zeit der Coronakrise empfand Jutta Schlager als „Hype“ um die Direktvermarkter. „Aber das war uns fast zu viel. Wir haben von Montag bis Sonntag durchgearbeitet.“ Seit Herbst 2020 hat sich das Geschäft gut eingependelt, die Produktion hat sich eingespielt. „Wir sagen in solchen Phasen dann immer : Jetzt ist aber Schluss ! Und dann kommt doch immer irgendeine neue Idee dazu“, schmunzelt Schlager. Das verursache aber auch wieder ein Brennen, eine Leidenschaft für die neue Aufgabe.

Was rät sie Frauen, die in der Landwirtschaft die Initiative ergreifen wollen ? „Kreativ sein und dem folgen, was man selbst am besten darstellen kann.“ Und sich dabei nichts ausreden lassen : „Als wir den Hof von den Schwiegereltern übernommen und auf bio umgestellt haben, waren wir auch für viele die ,Unkrautzüchter‘.“ Heute habe sie das Selbstbewusstsein, solche Kommentare gelassen zu sehen. Und die Landwirtschaft könne man heute von so vielen verschiedenen Ecken aus angehen.

„Als wir den Hof von den Schwiegereltern übernommen und auf bio umgestellt haben waren wir für viele die Unkrautzüchter.“ Heute hat Schlager das Selbstbewusstsein, solche Kommentare gelassen zu sehen.

Vielleicht ist gerade das ein Vorteil, den Frauen für sich nutzen könnten ? „Unsere große Gabe ist, vernetzt zu denken und schnell zu sein“, sagt Doris Maurer. Sie sei im vergangenen Jahr im Rahmen eines Projektes auf brutale Weise auf ihren vermeintlichen Platz als Frau verwiesen worden. Sie empfiehlt Frauen deshalb, sich davon zu verabschieden, „everybody‘s darling“ sein zu wollen. „In dem Moment, in dem man etwas umsetzt, wird man immer irgendwo anecken. Viele Frauen tendieren nach einem Rückschlag dazu, einen ,Fehler‘ bei sich zu suchen. Männer kommen gar nicht auf die Idee.“ Maurer rät auch davon ab, sich mit anderen (Frauen) zu messen : „Man sollte lieber auf die eigenen Stärken bauen.“ Das Bedürfnis vieler Frauen gemocht zu werden, hemme sie, die eigene Stärke auszuspielen, im Sinne von : „Ich weiß, was ich kann, und ich nehme jetzt einmal keine Rücksicht – ohne gleich als ,Zicke‘ dargestellt zu werden.“

In solchen Situationen helfe ein „Fallnetz“, ein Netzwerk von Freundinnen und Verbündeten, die Erfahrung haben und ehrliche Rückmeldung geben. „Bei mir sind das unter anderem welche jener Bürgermeisterinnen, die mich auch am Beginn in meiner Führungsposition unterstützten“, sagt Maurer. „Die kann ich in kritischen Situationen fragen : Wie hast du das geschafft ?‘ Und dann wird Tacheles geredet.“ Maurer, die Gemeinden und Regionen auch in der Klimawandelanpassung berät, glaubt an die weibliche Kraft : „Wir denken viel eher darüber nach, wie wir leben, wie wir unseren Alltag bestreiten – und ihn vielleicht klimaschonender gestalten können.“ Sie selbst ist übrigens auch gerade wieder an einer neuen Fortbildung dran. Das Fach : Innovationsmanagement.

Service

Das Land Niederösterreich bietet ein regiona­les Mentoring-Programm für Frauen an, das bei Fragen zur Karriereentwicklung, Neuorientierung oder Wiedereinstieg in den Beruf weiterhilft und unterstützt.

Menschen im Land

Niederösterreich ist Großteils ländlich geprägt. Die Verankerung in kleinräumigen Strukturen und Traditionen schafft dabei Identität und Beziehungsräume und andere Formen von Lösungsansätzen, welche die regionalen Verhältnisse oft besser berücksichtigen können.

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Energie in Niederösterreich: Statusbericht 2023 (PDF, 650kB)

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NÖ Klima- und Energieprogramm 2030: Statusbericht 2023 (PDF, 2,4MB)

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SDG Indikatorenset auf Bundeslandebene NÖ (PDF)

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SDG Indikatorenset auf Bundeslandebene NÖ (CSV)

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