„Gebrauchte Waren müssen ihren schlechten Ruf verlieren“
Ob Ballkleid, Spielzeug oder Werkzeug : Etwas neu zu kaufen ist heute oft die einfachste Lösung für einen Mangel. Aber muss das wirklich sein ? Wir haben bei Konsumberaterin Nunu Kaller nachgefragt.
Quelle: Harald Tremmel / studio.mishugge.com
Das Kind wuchs wie eine Rübe. Die geringelten Leggings, die es im Herbst von der Oma geschenkt bekommen hatte, endeten plötzlich weit über den Knöcheln. Und die Beine waren mittlerweile auch fürs Bobby-Car zu lang geworden, ein Plastik-Fahrgerät ohne Pedale.
Wer Kinder hat, der oder dem wird noch einmal aus einer ganz neuen Perspektive bewusst, in was für einer schnelllebigen Konsumgesellschaft wir leben. Anfangs braucht man alle halben Jahre eine neue Komplettausstattung, samt Jacke, Gatschhose, Gummistiefeln. All das gibt es mittlerweile auch schon – selbstverständlich zur passenden Jahreszeit – bei den großen Supermarkt-Diskontern mit ihren Wochenaktionen. Wie bequem.
Allerdings : Diese Möglichkeit, ständig und günstig an Nachschub zu kommen, füttert unsere Tendenz, dass vieles von dem, was heute an Spielzeug und Kinderkleidung in den Zimmern liegt und hängt, nach wenigen Monaten oder Jahren im Müll landet. Sobald die Kleinen halt in die nächste Größe gewachsen sind.
Die Kreislaufwirtschaft der Europäischen Union strebt eigentlich an, Siedlungsabfälle so gut es geht zu vermeiden und möglichst viele Produkte (oder die in ihnen enthaltenen Rohstoffe) wiederzuverwerten. Wie das passiert, ist den einzelnen Mitgliedsstaaten überlassen. Das Land Niederösterreich startet unter dem Motto „Ned weghaun ! Weitergeben“ gemeinsam mit den NÖ Umweltverbänden und den soogut-Sozialmärkten ein Pilotprojekt um gebrauchten, aber noch nicht ausgedienten Gegenständen ein neues Leben zu schenken.
Denn vieles von dem, was in dem einen Kinderzimmer nicht mehr gebraucht wird, ist noch „gut“ und in einem anderen Kinderzimmer gut zu gebrauchen für den Nachwuchs einer jüngeren Altersgruppe. In vielen Bekannten- und Familienkreisen wird die Ausstattung der Kinder nach wie vor weitergegeben. Doch was tun, wenn das (aus welchen Gründen auch immer) nicht klappt ?
Dazu gibt es verschiedene Ansätze. Die kanadische Designerin Sarah Lazarovic hat sich überlegt, was wir berücksichtigen können, bevor wir etwas unbedingt neu anschaffen müssen – und zwar für alle Bereiche unseres täglichen Lebens. Und sie hat sie in einer anschaulichen Grafik zusammengestellt : Sie nennt die Pyramide, die sich daraus für sie ergab, eine „Buyerarchy of Needs“, eine alternative Bedürfnispyramide des Konsums. Wir haben außerdem mit der Nachhaltigkeitsberaterin Nunu Kaller gesprochen, die sich auch auf Lazarovic bezieht.
„Buyerarchy of Needs“: Die Designerin Sarah Lazarovic legt nahe, dass wir erst Neues kaufen sollten, wenn alle anderen Möglichkeiten ausgeschöpft sind, also : zuerst das verwenden, was wir haben („use what you have“), Dinge ausborgen („borrow“) oder tauschen („swap“). Man kann auch bewusst auf etwas verzichten, sparsam oder Übertragenes kaufen („thrift“) – oder es gleich selbst herstellen („make“). Nur in letzter Konsequenz, soll man einen – nachhaltigen – Neukauf andenken.
Quelle: Sarah Lazarovic
Priorität 1 : Verwende, was du hast !
Dieser Tipp klingt aufs Erste sehr banal. Wenn man aber etwas eingehender darüber nachdenkt, bedeutet das : Wir benötigen vielleicht nicht für jede Spezial-Aufgabenstellung ein Spezial-Gerät (das womöglich auch wieder Strom braucht, um betriebsbereit zu sein). Braucht es die Küchenmaschine, wenn sich der Teig auch mit der Hand kneten lässt ? Braucht es eine stylische Ladestation für Handy oder Tablet, wo es doch die mitgelieferten Kabel auch tun ? Für die Reparatur von Elektro- oder anderen Geräten kann man als Erstes auch im Reparaturführer nachschlagen (www.reparaturfuehrer.at/noe).
Bei Kleidung kann man sich fragen, ob etwa ein zu eng gewordenes Kleid gekürzt noch eine fesche Bluse hergibt, ein Pullover mit hartnäckigem Fleck dunkler gefärbt werden kann. Für Kinderkleidung kann man die Längerlebigkeit schon beim Kauf beachten – etwa Hosen oder Röcke mit verstellbarem Bund oder Jacken und Overalls mit eingenähten Ärmelverlängerungen, die in der nächsten Saison nur aufgetrennt werden müssen. Eine zu kurz gewordene Jogginghose taugt im nächsten Sommer abgeschnitten als kurze Hose (Jersey und Sweatstoff fransen nicht aus ; bei Jeans ist es schon fast ein eigener Look).
Und soll es dann unbedingt ein Leiberl mit Glitzer-Einhörnern, Spiderman oder einer anderen Figur sein, verweist Nunu Kaller auf die Möglichkeiten, „2nd hand“ – also aus zweiter Hand – einzukaufen. Doch dazu später. „Ich bin keine Mutter“, sagt Kaller, „ich nehme mir nicht heraus für Mütter zu sprechen. Ich höre nur gerade bei Produktionen großer Studios immer wieder, dass nicht die Produkte zum Film designt werden, sondern der Film rund um die Produkte herum.“ Gleichzeitig könne man solche Merchandise-Artikel auch nicht verteufeln, weil für Kinder „Verbotenes“ noch interessanter werde. „Es ist ein ständiger Seiltanz zwischen dem, was man selbst für richtig hält, und dem, was das Kind einfordert.“
Jedenfalls gilt : „Je länger ein Teil gebraucht wird, desto weniger oft muss es natürlich produziert werden“, sagt Kaller. „Ich möchte vor einem Neukauf alles versucht haben, auch schauen, ob man vielleicht selber etwas wieder herrichten kann.“ Viele Tipps und Tutorials lassen sich dazu heute auf Youtube oder Pinterest finden – wie sich etwa ein Loch in der Hose so stopfen lässt, dass es zum hübschen Hingucker wird.
Priorität 2 : Ausborgen
Eine Abendveranstaltung steht an und keines der Kleider im Kasten scheint geeignet ? Oder : Das Kind möchte eine neue Sportart ausprobieren und es gibt vor Ort kein Leih-Equipment ? Was spricht dagegen, bei guten Freunden nachzufragen, um etwas auszuborgen ? Denn alles, was man kauft, ist dann (jedenfalls vorübergehend) auch irgendwo zu verstauen.
Bei Spielzeug kann es sich auszahlen, das vorübergehend zu tun : Werden gewisse Spielzeuge verborgt oder ab und zu weggeräumt – aus den Augen, aus dem Sinn –, sind sie dann plötzlich ungemein interessanter, wenn sie wieder da sind.
Priorität 3 : Tauschen
„Meine Nichten haben ein Barbiehaus bekommen, als sie 3 und 4 Jahre alt waren“, erzählt Kaller, „dafür hätte ich als Kind wahrscheinlich gemordet. Heute denke ich : Was für ein furchbares Plastikgraffel !“ Natürlich habe sie aber geholfen, es zusammenzubauen, und ja, die Kinder hatten eine riesige Freude. Gleichzeitig : „Wenn die Kinder auf so etwas bestehen, dann gibt es heute auch andere Möglichkeiten, so etwas zu besorgen. Zum Beispiel über Tauschgruppen, die sich vielfach auf Social Media absprechen. Ich kenne eine super Organisierte im Wienerwald.“
Und wenn keine Tauschgruppe in der eigenen Umgebung zu finden ist, sei das ein wunderbarer Grund, selbst aktiv zu werden : „Wenn dir eine Tauschgruppe fehlt, dann gründe eine !“, rät Kaller. Oder man organisiert fürs Erste ein einmaliges Tauschtreffen, um so etwas einmal auszuprobieren.
Das Europäische Parlament fordert den Wechsel zur Kreislaufwirtschaft: Die Kreislaufwirtschaft steht im Gegensatz zum traditionellen, linearen Wirtschaftsmodell („Wegwerfwirtschaft“). Dieses Modell setzt auf große Mengen billiger, leicht zugänglicher Materialien und Energie. „Geplante Obsoleszenz“ ist ein weiteres Merkmal. Das Europäische Parlament fordert Maßnahmen dagegen, dass Geräte vorzeitig kaputtgehen.
Quelle: Europäisches Parlament
Priorität 4 : Spar’s dir !
Diese Botschaft lässt sich auf zwei Arten auslegen : Die eine ist, sich den Kauf zu sparen. Die Aufräum-Päpstin Marie Kondo etwa rät dazu, nur diejenigen Dinge zu behalten, die die einen glücklich machen. Das kann man auch beim Einkaufen schon mitbedenken – indem man zum Beispiel einen oder mehrere Tage vergehen lässt, bevor man etwas, das man gerne kaufen würde, dann tatsächlich kauft. Es lohnt sich, sich zu überlegen: Will ich das wirklich in meinem Leben haben ? Oder sich in der Zukunft damit vorzustellen : Werde ich damit wirklich glücklich(er) sein ?
Die andere Art, diesen Tipp zu lesen, ist : beim Kauf zu sparen. Das lässt sich am einfachsten bewerkstelligen, wenn man secondhand – aus zweiter Hand – einkauft. „Da ist Österreich gesegnet mit willhaben“, sagt Kaller. Aber auch viele andere Aktionen tragen etwas bei : Das sind die Henry-Läden genauso wie Secondhandbereiche in den Soo-gut-Märkten. An ausgewählten Altstoffsammel- und Wertstoffzentren in Niederösterreich können Kinderspielzeug, Fahrräder, Sportgeräte oder auch kleinere Möbelstücke bei der gekennzeichneten „So-gut-wie-neu BOX“ abgegeben werden. Nach der Sammlung werden die Waren auf ihre Funktionsweise geprüft und aufbereitet, damit sie anschließend an zehn Standorten in Niederösterreich preisgünstig wieder zum Verkauf stehen.
„Die Nutzung von gebrauchten Waren muss ihren schlechten Ruf verlieren. Zum Glück passiert das im Moment gerade vielfach“, sagt Kaller. Die Konsumberaterin, die früher für Greenpeace tätig war, erklärt, dass der Kauf aus zweiter Hand etwa von Kinderkleidung sogar weitere Vorteile mit sich bringe : „Nicht nur ist mehr als genug Kinderkleidung am Markt, sondern es gilt auch : Je öfter Kinderkleidung bereits gewaschen ist, umso weniger Schadstoffe befinden sich darin.“
Priorität 5 : Mach es selbst !
Das ist schon längst nicht mehr nur eine Frage des Talents : Es gibt tausende Video-Tutorials auf Youtube oder anderen Plattformen, dank deren Anleitungen man wieder aktiv werden kann – selbst wenn man sich nur mehr sehr vage ans Häkeln, Nähen, Stricken erinnern kann. Allerdings : Diese Variante muss nicht günstiger sein, als etwas neu zu kaufen, weil die Rohstoffe selbst für den Heimgebrauch oft schon teuer sind.
Deshalb vielleicht lieber das verwenden, was ohnehin da ist : Im Herbst Kastanienketten basteln, Glückwunschkarten aus Zeitungsausschnitten gestalten. Auch zur Wiederverwertung von Verpackungsmaterialien finden sich unzählige Beispiele auf Plattformen wie Pinterest. Unter dem Christbaum könnte es künftig zum Beispiel mehr Weihnachtstücher geben, eine Verpackungstradition aus Japan.
Quelle: Katharina Zoubek
Priorität 6 : Nachhaltig kaufen
Erst wenn alle Möglichkeiten ausgelotet wurden, sollte man an einen Neukauf denken. Auch da kann man schon die „Nachnutzung“ mitbedenken, meint Kaller : „Ein Vorzeigebeispiel sind diese Woom-Kinderräder. Die Produktion ist hochqualitativ, sitzt in Europa und die Räder kann man nach dem Ausrangieren locker weiterverkaufen – oder sogar zurückgeben.“ Auch Spielzeug, das sich über Generationen weitergeben lässt, ist eine Option : Das im Waldviertel erzeugte „Matador“ ist nicht nur bei Kindern, sondern auch in Pensionistenheimen beliebt. Und die bunten Bausteine von Bioblo aus Tulln können zu selbst erdachten Figuren und Formen verbaut werden und sind mit dem Österreichischen Umweltzeichen zertifiziert. Das Unternehmen Bioblo setzt explizit auf Recycling.
Möchte man sein eigenes Einkaufsverhalten reflektieren, darüber nachdenken, unter welchen Umständen man „shoppt“, lohnt es sich ein „Einkauftagebuch“ zu führen oder zu notieren, wann in welchen Sparten welche Ausgaben getätigt wurden. Um sich dann womöglich auch zu fragen : Womit kann ich meinen Lieben und mir denn sonst noch Freude machen, außer für sie Dinge zu kaufen ? Bisherige Generationen haben gelernt, Materielles als Belohnung wahrzunehmen. Aber wir könnten einander vielleicht auch anderes schenken, zum Beispiel ein selbst gemaltes Bild und den großen Spaß, gemeinsam zu lauter Musik im Wohnzimmer zu tanzen.
Service
Kurzbiografie Nunu Kaller: Nunu Kaller ist Buchautorin und Konsumberaterin. Davor war sie als Journalistin und bei Umweltorganisationen tätig.
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